Start-ups gegen Lebensmittelverschwendung
DIE FRISCHEMANUFAKTUR im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung
Die Zutatenliste ist so kurz, dass sie als Label taugt: „Wasser, Zitrone, Thymian“ steht groß auf den Glasflaschen, die ein echter Hingucker sind – nicht wegen des Designs, sondern wegen des Inhalts. Statt unsichtbarer Aromen schwimmen die realen Zutaten in der Flasche: Zitronenscheiben und Thymianzweige etwa. Darüber hinaus gibt es drei weitere Sorten des aromatisierten Wassers, das man eher im Wellnessbereich als im Supermarktregal vermuten würde. „Die Haltbarkeit konnten wir durch einen patentierten Prozess auf drei Monate erhöhen“, erklärt Jenny Müller (37), die Gründerin von Die Frischemanufaktur in Halle (Saale).
Bevor Jenny sich mit ihrer Idee selbstständig machte, arbeitete sie in der Zentrale eines großen deutschen Supermarkts und erlebte, wie viel verpacktes, vorgeschnittenes Obst täglich vernichtet wird. Um das zu ändern, entwickelte sie zunächst Obstsalat, der mit Vitamin C und unter Schutzatmosphäre verpackt um ein Vielfaches länger haltbar war. „Leider fanden wir keine Käufer dafür, aber die Erfahrung aus der Zubereitung nutzen wir jetzt für unser Lieblingswasser Zitrone/Thymian.“
Vor allem die Frische des Obstes und die Hygiene bei der Verarbeitung sind ein entscheidendes Kriterium für die Haltbarkeit in der Flasche. Doch nicht jede Zutat ist dafür geeignet. „Basilikum ist zu dünnwandig, wird schnell matschig, Gemüse geht, gibt aber wenig Geschmack ab.“ Obstsorten wie Ananas funktionieren dagegen gut, werden von Hand geschnitten und in die Flaschen gefüllt, dazu kommen ein paar Blätter Salbei und 500 ml Wasser. Ohne Zucker und Aromen, dafür mit vollem Geschmack. Erfrischende Ideen können so einfach sein.
Kantinen mit Kalkül
Woran denkt ihr, wenn ihr Künstliche Intelligenz (KI) hört? Eher an Sci-Fi-Filme oder „Big Bang Theory“ als an Zero Waste, oder? Valentin Belser (30) und Jakob Breuninger (29), der eine Ingenieur für Luft- und Raumfahrt, der andere für Robotik und Maschinelles Lernen, haben 2018 eine Software entwickelt, die hilft, Abfall zu vermeiden. Initialzündung war 2017 ein Mensaessen an der Stuttgarter Uni. Kurz vor Schluss standen noch Gerichte zur Wahl. „Wie kann das sein?“, fragte sich Valentin.
Laut Bundesernährungsministerium landen bei Mensen und Kantinen jährlich etwa 1,9 Millionen Tonnen Lebensmittel im Abfall. Zusammen mit Jakob tüftelte er über ein Jahr an einer Software, die berechnen kann, wie oft dienstags in der Mensa Currywurst geordert wird. Delicious Data, so die Software, stellt mit nur einigen Wochen Verkaufshistorie vollautomatisiert und schnell eine Prognose. Sie macht ihre Vorhersage, indem sie auch Urlaubszeiten, Vorlieben wie Veggie oder vegan oder den Wetterbericht mit einbezieht: Ist es sonnig, zieht es die Leute etwa in München mittags in den Englischen Garten, nicht in die Kantine. „In der Regel haben Großkantinen in Deutschland 20 Prozent Abfall“, erklärt Valentin, „Delicious Data halbiert ihn, und zwar zuverlässig.“
Zu den Kunden gehören inzwischen fünf Mensen, Caterer für Schulen, Kitas und Seniorenheime sowie die Kantinen von Bayer und Ergo-Versicherung. Dafür gab es 2020 den Bundespreis „Zu gut für die Tonne“. Das Spannende: Die KI „sammelt“ Erfahrungen von all ihren Einsatzorten und optimiert sich durch maschinelles Lernen selbst. Neuestes Projekt sind große Bäckereien. Auch hier fällt jede Menge Überschuss an, den die Software reduzieren hilft. Und was ist mit Privathaushalten? Sie erzeugen den meisten Abfall, pro Jahr und Person etwa 142 kg. „Vielleicht eine App für den Kühlschrank, die erkennt, was weg muss. Aber das ist jetzt bloß Brainstorming“, sagt Valentin. Wir sind gespannt!
Weniger Lebensmittelverschwendung dank Querfeld
Bei einer Blindverkostung schmeckt die schief gewachsene Karotte genauso wie die gerade, doch um im Verkauf zu landen, reicht das nicht. Aussehen ist alles – zumindest in der normierten Welt der Supermärkte. „Bis zu 30 Prozent des geernteten Gemüses gelangt nicht in den Handel, weil es krumm gewachsen ist oder optische Mängel hat“, erklärt Frederic Goldkorn (33), einer der Gründer von Querfeld.
Ziel seiner Firma ist es, genau dieses Obst und Gemüse zu retten, das sonst auf dem Feld liegen bleibt, zu Tierfutter wird oder in einer Biogasanlage verschwindet. Bisher arbeiten sie mit Landwirten aus Berlin und München zusammen. Die schätzen es, das ihr Gemüse einen Abnehmer findet und nicht verschwendet wird. Neben lokalen Betrieben arbeitet Querfeld auch mit Erzeugern aus Frankreich, Italien und Spanien zusammen – dort wird ebenfalls fehlerhaftes Obst und Gemüse entsorgt. So wird das Angebot erweitert und für mehr Kunden interessant.
„Vor der Pandemie waren das vor allem Großküchen, Kantinen oder Kindergärten, jetzt sind es meist Endverbraucher.“ Das Gemüse wird in einem Zentrallager umverteilt, kann an bestimmten Punkten in Berlin und München – den Feldbotschaften – abgeholt werden, wird aber auch per E-Auto oder -Bike geliefert. „Wir haben uns gegen deutschlandweiten Versand an Privatpersonen entschieden, weil ein Apfel aus Brandenburg nicht nach Stuttgart geschickt werden muss.“ Das Konzept wird von Kunden gut angenommen. Sollte vielleicht mal jemand den Supermärkten sagen.